„Mach mal einen Poetry-Slam!“, sagt die Frau aus dem Publikum und bringt damit das ganze Elend auf den Punkt. Wollte ich ihrem Wunsch semantisch korrekt Folge leisten, so müsste ich jetzt spontan einen Wettbewerb ausrufen, ein paar Freiwillige, die etwas selbstverfasstes zu rezitieren bereit sind, auf die Bühne holen und dann das Publikum über Wohl und Wehe der Kandidaten abstimmen lassen. Aber das meint die Frau nicht.

Sie will, daß ich jetzt in möglichst freier Rede, etwas angezogenem Tempo, unter Verwendung von arg schiefen Reimen sowie vor allem in einem bestimmten, und für mein Empfinden unendlich nervtötenden, Rhythmus einen Sermon ablasse, der aus den Zutaten Egozentrik, Weltschmerz und –ganz wichtig- einem gerüttelt Maß AfD-Bashing besteht. So sieht er nämlich heute aus der typische Slam-Text. Kennt man einen, kennt man alle.

Als Poetry-Slam Ende der 90er Jahre nach Deutschland kam, da war das mein Ding. Es war ein Auftrittsort da, um den man sich nicht vorher kümmern mußte. Es stand ein Mikro da, um das man sich nicht vorher kümmern mußte. Ein Veranstalter hatte für Werbung gesorgt -und man mußte sich nicht vorher drum kümmern. Paradiesische Zustände für alle, die vorher jahrelang vor 30 zahlenden Zuschauern gelesen hatten.

Es war ein knallharter Wettbewerb unter Dichtern. Es ging um Vermaß, Reimschema, Fallhöhen, Rhetorik und ganz viel Entertainment. Es waren zumeist junge Männer, die da sehr verbissen um den Sieg kämpften und sich jedes Wochenende mit neuen Gedichten gegenseitig zu übertrumpfen suchten.

Hamburg, Berlin, München, Düsseldorf und Köln waren die ersten deutschen Städte in denen regelmäßige Slams stattfanden. Im Januar 2001 habe ich mit Esther von zur Mühlen den ersten Bonner Poetry-Slam „Rosenkrieg“ im Punkschuppen „Bla“ ins Leben gerufen und ihn 17 Jahre lang jeden Monat organisiert. Der „Rosenkrieg“ wurde eine renommierte Adresse, die Bonner Jahressieger haben jahrelang bei den deutschen Slammeisterschaften („Nationals“) die vorderen Plätze belegt.

Slam wurde für mich zu einer künstlerischen Heimat. Zwischen 1999 und 2006 bin ich bei unzähligen Slams aufgetreten und wurde Slam-Stadtmeister in Aachen, Remscheid, Duisburg, Koblenz, Düsseldorf, Wiesbaden und Bonn. Fünfmal in Folge qualifizierte ich mich für die deutschen Meisterschaften, dreimal habe ich im Finale verloren, zuletzt 2006 in München, der bis heute größten Meisterschaft (über 200 Teilnehmer). Danach hatte ich die Faxen dick.

Den Bonner „Rosenkrieg“ habe ich dennoch zwölf Jahre weiterbetrieben, um junge Menschen für Sprache und Literatur zu begeistern. Viel hat sich verändert in dieser Zeit. Die literarische Qualität der Darbietungen nahm im Schnitt kontinuierlich ab, der Unterhaltungsfaktor ebenso. Ein kunstfertiges Gedicht habe ich beim Slam schon lange nicht mehr gehört.

Poetry-Slam wurde immer öfter zur Nabelschau der eigenen Befindlichkeit. Mit unschöner Regelmäßigkeit wurde die Bühne zur Therapiecouch, was ja in Ordnung gewesen wäre, so es etwas unterhaltsames, amüsantes oder auch nur überraschendes gehabt hätte, aber es war semper idem und zunehmend schwer erträglich. Im Frühjahr 2019 hab ich es nicht mehr ausgehalten und mir eine unbestimmt lange Poetry-Slam-Pause verordnet.

Sie sind Lehrerin oder Lehrer und möchten dennoch an Ihrer Schule einen Poetry-Slam veranstalten? Dem sollte ein „workshop“ vorangehen, den zu leiten ich anbiete, es kostet Sie nichts (solange es in der Nähe ist und mit meinen Terminen konform geht), denn jungen Menschen Begeisterung für Sprache zu vermitteln ist nach wie vor eine Aufgabe, der ich mich verpflichtet fühle.

Sie sind Firmeninhaber, Behördenleiter oder Eventfuzzi und wollen einen Slam zur Untermalung Ihrer Betriebsfeier? Ich bin nicht Ihr Mann, für kein Geld der Welt. Es gibt genug Kollegen, die sich für sowas nicht zu schade sind. Slam gehört in schmutzige, kleine Kneipen und linksextremistische Bombenleger-Kulturzentren, nicht in hochglanzpolierte Glaspaläste.

2005 in Bielefeld beim Slam im Bunker am Ulmenwall